Tuesday, September 30, 2025

Große Berge und ein fast so großes Missgeschick

Weiter geht’s in Richtung Süden, durch das Velebit-Gebirge (hier sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass in dieser Gegend in den 1960er-Jahren die Winnetou-Filme gedreht wurden) und zum Paklenica Nationalpark. Ausgerechnet in der ärgsten Mittagshitze komme ich an, und bereue mein Vorhaben, wandern zu gehen. Zum Glück gibt es nahe des Parkplatzes ein Besucherzentrum. Zwar kostet der Eintritt 5 Euro extra, das ist es aber allemal wert. Nicht nur ist es angenehm kühl, weil das Museum tief in den Fels hineingebaut ist, die Ausstellung ist auch ziemlich umfangreich und interaktiv gestaltet. Kinder könnten dort sicherlich mehrere Stunden verbringen. Übrigens fühlt sich das Besucherzentrum nicht nur an wie ein Bunker, es ist auch als ein solcher in den 1950er Jahren erbaut worden. 

Als ich das Museum am frühen Nachmittag wieder verlasse, ist die Temperatur draußen schon deutlich angenehmer. In der engen Schlucht wächst der Schatten mit jeder Minute. Die „Hauptstraße“ zwischen den Felswänden ist befestigt, aber doch recht steil. Es ist nicht gar so viel los wie bei den Plitvicer Seen, aber einsam ist man hier auch nicht.

 

Ich war heilfroh über diese Quelle, denn nur Momente zuvor habe ich mich geärgert, zu wenig Wasser dabei zu haben. Es gibt kein besseres Getränk als kaltes Wasser direkt aus dem Berg!


Das Gefühl, zwischen den massiven Karstfelsen hochzublicken, lässt sich schwer beschreiben. Fast verspüre ich eine gewisse Klaustrophobie. Die rauen, nackten Felsen der Schlucht sind blendend weiß. Wie die entblößten Knochen der Erde ragen sie empor. Irgendwie fühlt es sich falsch an, sie zu betrachten. Als wäre das ein Ort, an dem Menschen nicht erwünscht sind. Dass der Name der Schlucht, Paklenica, auf Kroatisch „kleine Hölle“ bedeutet, ist mehr als nachvollziehbar.



Nach etwas mehr als einer Stunde auf dem gepflasterten Hauptweg nehme ich eine Abzweigung, die steil bergauf führt, zu Jurline, einem ehemaligen Dörfchen, das aber kaum noch zu erkennen ist. Zwischendurch bereue ich meinen Hochmut, mich den bröckeligen Pfad entlang die Schlucht hinauf zu quälen. Wer kommt überhaupt auf solche Ideen, wenn ich doch auch einfach entspannt zurück zum Auto spazieren hätte können? Immer wieder muss ich mich selbst dazu überreden, nicht einfach wieder umzukehren, ohne die Hochebene zu erreichen. Aber als ich dann von hoch am Berg die Aussicht bewundere, weiß ich, dass sich die Anstrengung gelohnt hat.



 

Mittlerweile ist es später Nachmittag und während ich mich vorsichtig den Weg hinab taste, wird mir bewusst, dass ich schon ziemlich lang keine anderen Menschen mehr gesehen habe. Alleine in so einem Gelände unterwegs zu sein, ist ja auch eigentlich nicht empfehlenswert. Es müssen ja nicht die Plitvicer-Menschenmassen sein, aber so ganz alleine am Berg fühle ich mich auch nicht so wirklich wohl. Ich höre ein rascheln und erwarte hinter der nächsten Kehre Gesellschaft, doch statt Menschen schaut mich eine Gams an.

Wieder am Hauptweg angekommen, bin ich endlich nicht mehr ganz alleine. Puh. Mit flotten Schritten marschiere ich zum Parkplatz zurück. Die Sonne ist schon fast untergegangen, und ich will ja nicht allzu spät in meinem Zimmer in Starigrad, einem Städchen gleich bei dem Nationalpark, ankommen.

Ich tippe die Adresse in’s Autonavi ein und kann meinen Augen nicht trauen. Statt wie erwartet zehn Minuten soll die Fahrt über zwei Stunden dauern. Panisch überprüfe ich die Adresse, und, tatsächlich. In diesem Moment lerne ich den Unterschied zwischen den kroatischen Städten „Starigrad“ in der Nähe von Zadar und „Stari Grad“ signifikant weiter im Süden. Hoppla. Vielleicht sollte ich meine Unterkünfte doch etwas genauer betrachten, auch, wenn ich nur eine Nacht dort verbringe.

Jetzt muss ich eine Entscheidung treffen: entweder die Reservierung stornieren und im richtigen Starigrad ein freies Bett suchen, oder trotz des unerwartet weiten Weges zum bereits voll bezahlten Zimmer fahren. Der Weg nach Stari Grad führt in den Süden – also ohnehin die richtige Richtung. Deshalb setzte ich mich ohne noch mehr Zeit zu verlieren ins Auto und hoffe auf möglichst wenig Stau.

Wenigstens dieser Wunsch erfüllt sich. Auf der Autobahn beruhigen sich meine Nerven allmählich und während einer kurzen Pinkelpause schaue ich mir nochmals ganz genau an, wie ich nach Stari Grad komme. Und der nächste Schock: In meiner Hektik habe ich komplett übersehen, dass sich die Stadt auf Hvar befindet. Einer Insel. Auf die man nur mit einer Fähre kommt. Und für die letzte Fähre ist es natürlich schon zu spät. Also habe ich keine Chance mehr. Und dabei war das Zimmer auf Stari Grad das teuerste, welches ich die gesamte Reise über buchen würde. Ich atme tief durch und sage mir, es hätte Schlimmeres passieren können als 40 Euro Lehrgeld.

Der neue Plan ist, bei der nächsten Abfahrt die Autobahn zu verlassen und im nächstbesten Quartier zu übernachten. Nach all dem Stress möchte ich einfach nur möglichst bald ins Bett. In Kroatien gibt es ja keine Vignette, sondern bei den Autobahnabfahrten wird Maut gezahlt. Wer sich die Wartezeiten sparen möchte, kann sich eine ENC-Box zulegen, mit der dann elektronisch getrackt und bezahlt wird. Ich hab sowas natürlich nicht und im September ist auch nicht mehr so viel Verkehr, wie in der Hochsaison. Allerdings lerne ich an diesem Abend noch eine weitere Lektion: Es gibt so einige Abfahrten, die NUR mit einer solchen ENC-Box verlassen werden können, vor allem zu solch später Stunde. Warum, Kroatien? Warum? Und so bin ich auf der Autobahn gefangen, bis ich die Stadt Split erreiche. 



Okay, ist ja nicht so schlimm, nach Split wollte ich ja ohnehin und in der Stadt gibt es immerhin eine große Auswahl an Hostels. Mit der angenehm preisweiten Unterkunft habe ich immerhin etwas mehr Glück, als in Zagreb. Nicht zuletzt, weil es dort sehr freundliche Katzen gibt, die sich gerne von Gästen streicheln lassen. Fix und fertig falle ich ins Bett und bin froh, dass der Tag dann noch halbwegs gut ausgegangen ist.

Am nächsten Morgen gönne ich mir erst einmal ein luxuriöses Frühstück – nach dem vergangenen Abend habe ich das auch verdient. Ich nehme an einer „kostenlosen“ bzw. ja trinkgeldbasierten Touren teil, um mehr über die Stadt zu lernen. 


 

Ja, Split ist beeindruckend, vor allem der riesige Palast, den der römische Kaiser Diokletian um 300 n. Chr. als seinen Alterssitz errichten ließ. Klar, wer will schon ins Seniorenheim, wenn er auch in einer 21 Hektar großen Festung seinen Lebensabend verbringen kann?

 





Allerdings muss ich zugeben, dass ich die Stadt nicht gar so sehr genießen konnte, wie sie es vielleicht verdient. Denn auch wenn die Hochsaison vorbei ist, tummeln sich unzählige Menschen im Palast und bei den anderen Sehenswürdigkeiten. Außerdem ist es schon am Vormittag ziemlich heiß. Und vor allem zieht es mich aus der Stadt heraus, zu meinem nächsten Ziel: das Meer.

An einem so perfekten Badetag sind die meisten Strände natürlich ziemlich voll, vor allem bei Split selbst. Quasi die ganze Küste Dalmatiens besteht aus Tourismusorten, eingebettet zwischen steilen Klippen. Aber ich habe den Reiseführer der Generation Gen Z verwendet: Google Maps. So konnte ich zwischen den Städten nach eingetragenen Stränden suchen, an denen dann hoffentlich nicht gar so viel los ist. Und ich werde fündig: etwa eine Stunde südlich von Split, bei Dubci, befindet sich Plaža Vruja

 

Blick vom Parkplatz aus in die Bucht. Jup, da muss man dann runter. Und nachher wieder rauf. 
 

Es gibt einen Parkplatz, von dem man die Aussicht und die Statue „Stella Maris“ bewundern kann. Und wer mutig ist, kann auch in die Bucht hinabklettern. „Klettern“ ist übrigens keine Übertreibung. Der letzte Abschnitt ist nicht nur steil, das Gestein bröckelt auch bei jedem Schritt. Es gibt zwar ein Seil, das ist aber nur wenig hilfreich.

Der Strand ist das Abenteuer aber allemal wert. Klares, türkisblaues Wasser, weißer Kiesel und fast keine anderen Menschen. Ein paar Boote liegen in der Bucht – der wohl deutlich einfachere Weg, diese zu erreichen. 




Beim Schnorcheln vergeht die Zeit wie im Flug, und viel zu bald ist es Zeit, den anstrengenden Weg zurück nach oben auf mich zu nehmen. Zum Glück ist es am späten Nachmittag nicht mehr allzu heiß und ich hab reichlich Wasser dabei.

Übernachten werde ich an diesem Tag nicht in Kroatien, sondern auf dem kleinen Zipfel Meeresküste von Bosnien und Herzegowina. Warum? Das Zimmer in Neum kostet einen Bruchteil von kroatischen Quartieren. Und ich muss ja nur Richtung Dubrovnik fahren, bis ich in Neum bin. Oder?

Leider war weder mir noch meinem Auto-Navi bewusst, dass seit 2022 die Pelješac-Brücke den Neum-Korridor umfährt und ich verpasse die korrekte Abzweigung. Aber hey, immerhin hab ich so die Gelegenheit, die fast 2,5km lange Brücke zu überqueren! Sogar gleich zweimal!

Als ich endlich mein Quartier finde, bekomme ich mitgeteilt, dass es zwar einen kostenlosen Parkplatz gibt, aber nicht direkt beim Haus. Die äußerst herzliche Gastgeberin setzt sich zu mir, auf den Beifahrersitz („Sorry, normalerweise ist mein Auto nicht so unordentlich“, murmel ich und schmeiße ein paar leere Trinkflaschen, meinen Rucksack und ein paar Proteinriegelverpackungen auf die Rücksitzbank.) und lotst mich zum Parkplatz, der tatsächlich ein gutes Stück entfernt ist. Nicht so tragisch, schließlich hab ich ja nicht vor, heute nochmals zum Auto zu gehen. Ich packe meine sieben Sachen für die Nacht zusammen und begebe mich ins top-moderne, fast schon steril-saubere Zimmer. In der Dusche kann ich mir endlich das Salzwasser aus den Haaren waschen und im Pyjama kuschle ich mich ins Bett. Jetzt nur noch das Handy anstecken… Verdammt. Ausgerechnet das Ladegerät, wohl einer der wichtigsten Gegenstände für Gen Zer auf Urlaub, habe ich im Auto vergessen. Kurz überlege ich, einfach schlafen zu gehen. Aber die letzten zehn Prozent Batterie reichen wohl nicht bis zum nächsten Morgen, und ohne Handy bin ich doch sehr im Blindflug.

Also doch nochmal nach draußen. Es ist ja eh nicht so weit. Da es ohnehin schon dunkel ist, lass ich auch gleich den Pyjama an. Nur mit Handy und Autoschlüssel mache ich mich auf den Weg. Da fällt mir ein, dass ich mir ja gar nicht so genau angeschaut habe, wo dieser Parkplatz eigentlich ist. Die Abzweigung, die ich für richtig gehalten hab, stellt sich als völlig falsch heraus. Auf Google Maps schaue ich mir die Straßen nochmal ganz genau an. Oh nein, nur mehr fünf Prozent Akku… Hoffentlich schaltet es sich nicht gerade jetzt aus.

Ich begegne doch mehr Menschen als erwartet und bin mir meiner eher nicht straßentauglichen Bekleidung peinlich bewusst. Bis ich das Auto finde, bin ich fast 30 Minuten durch die Stadt geirrt. Aber ich hab’s geschafft und immerhin finde ich auf Anhieb wieder zurück.

Erleichtert und mit ladendem Mobiltelefon lasse ich mich ins Bett fallen. Wer hätte gedacht, dass eine Solo-Reise mit so vielen nervenauftreibenden Herausforderungen verbunden sein würde?

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