Monday, November 17, 2025

Eine Stadt mit viel zu viel Geschichte

Mein erster richtiger Halt in Bosnien und Herzegowina ist die Hauptstadt, Sarajevo. Ich habe etwa einen halben Tag eingeplant, schlafen werde ich in einer kleineren Stadt ein paar Kilometer nördlich. Wie ich bald bemerke, war es ein Fehler, mir nicht mehr Zeit zu nehmen. Denn Sarajevo ist mindestens zwei Tage und eine Übernachtung wert. Nicht nur ist das Stadtbild faszinierend – selbst als Laie merkt man, wie sich die Architektur aus der Zeit des Osmanischen Reiches und Gebäude im westlichen Stil aneinander fügen. Auch ist nach nur wenigen Schritten auf den Straßen Sarajevos spürbar, wie viel Geschichte hier geschrieben steht. Nicht nur im abstrakten Sinne. Häuserwände sind immer noch gezeichnet vom Krieg in den 1990er Jahren. Wer nur ein bisschen genauer schaut, kann unzählige Einschusslöcher entdecken. 

Heutzutage kann man sich in Sarajevo sicher fühlen – auch wenn in den Tourismus-Hotspots Schilder vor Taschendieben warnen. Ich möchte mich mit dem Krieg und der Belagerung von Sarajevo auseinandersetzen und besuche das Museum of crimes against humanity and genocide

 

Keine leichte Kost. Die Stimmung ist be-, fast erdrückend. Das Ende des Krieges ist gerade einmal 30 Jahre her, und so gibt es viel mehr, viel moderner wirkende Exponate, als ich es von Ausstellungen zu den Weltkriegen, über die in Österreich viel mehr gelehrt wird, gewohnt bin. Kleidungsstücke, Stofftiere, Waffen, Kochtöpfe, gespendete Nahrungsmittel, Comics. Jeder Gegenstand ist begleitet von einem kurzen Text – von Überlebenden, die sich beispielsweise daran erinnern, wie kleine Stückchen Schokolade das Ausharren zwischen Angriffen erträglicher machte. 

Es ist fast unglaublich, dass diese Zeit kaum drei Jahrzehnte her ist. Denn heute pulsiert Sarajevo vor Leben. Ich nehme erneut an einer Free Walking Tour teil. Das Zentrum von Sarajevo aus der Zeit des Osmanischen Reiches ist ein Labyrinth. Ich bin ein bisschen überfordert damit, mit der Kamera zu hantieren und den Informationen der Tourleiterin zu folgen. Also beschließe ich, nachher nochmal an die eindrucksvollsten Orte zurückzukehren – für Fotos ohne den vielen anderen Leuten. Aber das war ein schlechter Plan, denn trotz Suchbemühungen finde ich sie einfach nicht mehr. Naja, ein paar andere Fotos hab‘ ich ja doch. 

 















Ein Pflichtstopp für Touristen (vor allem für Österreicher:innen) ist die Ecke der Straße Obala Kulina Bana mit Zelenih Beretki. Denn hier wurde 1914 Kronprinz Franz Ferdinand erschossen. Heute befindet sich hier ein Museum, welches sich der Geschichte Sarajevos unter der Herrschaft der Habsburger befasst.

 








Zum Glück endet mein Tag in Sarajevo etwas aufmunternder: mit einem Besuch des The Sarajevo 80s Museum. 

 


Eine kleine Zeitreise in die Stuben Jugoslawiens. Die liebevoll nachgebauten Küchen und Wohnzimmer sind voll möbliert. Es fühlt sich fast an wie ein Besuch bei den Großeltern. Vor allem die grauenvollen Stickbilder. Sogenannte Gobelins waren anscheinend Deko-Highlights in den 80er Jahren. Ein Glück, dass Trends sich wandeln. 


 

Besonders cool ist, dass alle Ausstellungsstücke berührt werden dürfen. Darauf weist die Ticketverkäuferin beim Eintritt auch explizit hin. Gäste sollen die Schränke und Laden öffnen und noch mehr versteckte Schätze finden. So fühlt sich der Besuch auch an, wie eine Entdeckungsreise. 

 











 

Es gäbe noch viel zu erleben, aber leider muss ich Sarajevo verlassen. Meine Reise geht weiter. 

 


Hoch am Berg, noch höher zu Ross

Die Selbstbezeichnung Montenegros lautet Црна ГораCrna Gora. Übersetzt heißt das „schwarzer Berg“, genauso wie der albanische Name Mali i Zi. Auch im Deutschen wurde das Land im 19. Jahrhundert Schwarzenberg genannt. Das legt nahe, dass Berge ein signifikantes Merkmal der Region sind.

Bisher habe ich die montenegrinischen Berge ja nur aus der Weite gesehen. Aber nun führt mich die Reise hoch hinauf. Nur ein kurzes Stück nördlich von Podgorica wandelt sich die Landschaft und ja, hier gibt es definitiv Berge.

Ich lege einen Stopp ein bei dem Kloster Morača ein. Das serbisch-orthodoxe Kloster wurde im Jahr 1252 erbaut. Allerdings hab ich Pech bei meinem Besuch, denn zwei Touristenbusse und ungefähr vier montenegrinische Schulklassen besichtigen das Gebäude ebenfalls. Kurz gesagt, beim Kloster ist die Hölle los. Nach ein paar Fotos mache ich mich schnell wieder auf den Weg, um den Menschenmassen zu entkommen.



 

Recht viel geruhsamer geht es allerdings auch bei meinem zweiten Halt nicht zu. Ich besuche den Biogradska gora National Park. Dessen Herzstück ist ein idyllischer See. Allerdings nicht um diese Jahreszeit. Das Gewässer ist fast gänzlich ausgetrocknet. Trotzdem ist dort ziemlich viel los und mein kleiner Spaziergang ist nicht so recht entspannend. Ich frage mich, wie überlaufen der See in der Hochsaison ist.





 

Nun beginnt der spannendste Reiseabschnitt des Tages: Die Berge rauf, zu meinem Nachtquartier, einer kleinen Almhütte. Zwölf Kilometer steile Schotterstraße, unzählige Serpentinen. Wenn das mein kleiner Renault Clio schafft, braucht in Wien niemand ein SUV, nur mal so nebenbei. Zum Glück kommt mir die gesamte Strecke über niemand entgegen – das wäre wirklich spannend geworden. 




Die Aussicht war die Fahrt wert!

Google Maps-Screenshot vom abenteuerlichsten Streckenabschnitt.


Wenn es nur eine Straße gibt, kann man sich immerhin nicht  verfahren, und so finde ich meine kleine Almhütte ohne Probleme. Gut, dass ich bereits am Nachmittag ankomme, denn im Dunkeln würde ich dort oben nicht so gerne herumirren.

 

In der größeren Hütte, links, hab ich geschlafen. Ganz rechts ist die Dusche. 


 

Die Kommunikation mit den Gastgebern ist nicht einfach. Das Ehepaar empfängt mich mit außerordentlicher Herzlichkeit, spricht aber kaum ein englisches Wort. Mit Körpersprache und Google Translate schaffe ich es, einen Reitausflug zu vereinbaren. Der Hüttenwirt hält auf der Alm neben Kühen auch vier Ponys, eines davon ein absolut zuckersüßes Fohlen.




 

Nach dem äußerst großzügigen Abendessen wird es rasch stockdunkel. Klar, dort oben gibt es kaum Lichtverschmutzung. Glücklicher Weise ist es ein klarer Abend und ich kann zahllose Sterne sehen. Ein seltener, ganz besonderer Anblick, heutzutage.


 Am nächsten Morgen stellt sich heraus, dass ich meine Jacke doch nicht umsonst auf die Reise mitgenommen hab. Denn so hoch am Berg ist es noch am Vormittag bitterkalt und nebelig, auch im Sommer. Außerdem bläst Wind über die karge Hochebene. Ich klammere mich beim Frühstück an meine Teetasse und hoffe, dass sich die Sonne bald bemerkbar macht.


 

Aber ich hatte ja einen Ausritt vereinbart – „after Breakfast“ hatten wir gesagt. Und das hatten meine Gastgeber als unmittelbar nach dem Frühstück verstanden. Es hätte mich nicht gestört, ein bisschen zu warten, bis ich im Sattel nicht mehr bibbern würde, aber bevor ich mich versehe, sind zwei der Ponys gesattelt. Ich ziehe mir zwei lange Hosen übereinander an, die Gastgeberin borgt mir dankenswerter Weise Haube und Handschuhe. Und los geht’s.

Trotz Wind und diesiger Kälte bin ich schwer beeindruckt. Die Ponys erinnern mich an Isländerpferde. Ich schätze sie auf ein Stockmaß von 135 bis 140 Zentimeter – also ziemlich klein. Jedoch lässt sich mein Pony nicht mal anmerken, dass es mein Gewicht trägt, sondern spaziert energisch vorwärts. Leider weiß ich nicht, um welche Rasse es sich handelt, es ist allerdings gut möglich, dass es Montenegrinische Bergpferde, Domaci brdski konj, sind. 


 Schon bald wird mir bewusst, was für eine große Bedeutung die Ponys für die Arbeit in den Bergen haben. Wir reiten nicht etwa entspannt die Schotterstraße entlang, nein, sondern querfeldein, über Stock und Stein. Am Vortag bin ich ja schon etwas herumspaziert auf der Hochebene. Und dabei nur im Schneckentempo vorangekommen. Der Boden ist tückisch, wer nicht vorsichtig ist, stolpert schnell über die unzähligen Felsbrocken. Auch sind die Hügel steiler, als sie aus der Entfernung wirken. Aber die Ponys lassen sich nicht beirren und marschieren fast problemlos vorwärts – auf Gelände, auf dem ich mir zu Fuß ziemlich sicher beide Knöchel brechen würde. Es ist faszinierend, wie trittsicher diese Ponys unterwegs sind – vor allem, wenn ich sie mit anderen Pferden vergleiche, die oft auf quasi ebenem Grund schon über ihre eigenen Hufe stolpern. Zweifelsohne wurden diese Tiere für genau diese Umgebung gezüchtet. Hoch zu Ross kann ein Halter seine Kühe sicher sehr viel entspannter treiben, als zu Fuß. 


 

Auch wenn es nur ein Schrittausritt war, dank des Geländes war der Vormittag definitiv aufregend genug. Ich wärme mich mit einer Tasse Kaffee auf, bevor es für mich wieder bergab geht. 


Nach einigen kurvigen Bergstraßen muss ich mich von Montenegro verabschieden. Ich fahre über die Grenze nach Bosnien und Herzegowina. Dieses Mal nicht nur für eine Nacht, sondern für den nächsten Abschnitt meiner Reise.

Kurz nach der Grenze nach Bosnien und Herzegowina waren die Straßen in deutlich rustikalerem Zustand. Und plötzlich waren da Esel.